Es ist kein umgehendes Gespenst, sondern ein radelnder Asket. Niko Paech ist Professor für Ökonomie an der Uni Oldenburg, spielt Saxofon in einer Band, hat kein Auto und benennt bei jeder Gelegenheit den wahren Hauptfeind: Das Wirtschaftswachstum. Die deutsche Variante der degrowth-Bewegung hat in ihm die passende Gallionsfigur gefunden.
Die Krise ist systemimmanent. So lautet die Binsenweisheit der Kapitalismuskritiker. Die Konkurrenz erzwingt stets Expansion, was auf kurz oder lang zur Marktsättigung führt. Die sich stetig verschärfende Konkurrenz löst sich durch survival of the fittest und das Produktionsvolumen schrumpft.
Die great depression von 1929 zeigte erstmals, dass die Wirtschaft und mit ihr die Krise zur internationalen Verflechtung herangewachsen war. Nach dem Aufschwung der Goldenen Zwanziger folgte die bis zum Zweiten Weltkrieg währende Rezession samt Firmenpleiten und Massenarbeitslosigkeit. Ein Jahr vor der zweiten globalen Krise, die 1973 durch den Jom-Kippur-Krieg angestoßen wurde, legte der Club of Rome die Studie „The Limits of Growth“ vor. Mit Hilfe von Computermodellen wurden perspektivische Entwicklungen der Wirtschaft, der Bevölkerungszahl und der Umwelt prognostiziert. Die Extrapolation ergab die drohende Apokalypse in 100 Jahren.
Aus der Forderung nach ökologischer und langsam wachsender Wirtschaft entstand (vor allem in Frankreich, Italien und Spanien) die degrowth-Bewegung. Als Begründer gilt der rumänische Mathematiker Nicholas Georgescu-Roegen, der in seinem Hauptwerk „The Entropy Law and the Economic Process in Retrospct“ die Ökonomie kybernetisch zu fassen und mit Begriffen der Thermodynamik zu interpretieren versucht. So wie die Entropie in einem System nicht über ein Maximum hinausgehen kann, erreiche laut Georgescu-Roegen auch das Wirtschaftswachstum irgendwann seine Grenzen.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008ff. wächst die Bewegung der Wachstumsgegner. Nachdem der eher plump anmutende Protest von Occupy verhallt ist, stellt sich degrowth als innovative Heilslehre dar und trifft dabei vor allem bei ökologischen Citoyens auf immensen Zuspruch. Das charismatische Gesicht der Bewegung ist Niko Paech. Der sich selbst als Postwachstumökonom Deklarierende tingelt durch „kritische“ TV-Shows, redet bei „kritischen“ Vorlesungsreihen und bekommt laut eigenen Aussage ab und an Anfragen, ob er die Post in Sachen Expansion beraten könne.
Die zugehörige deutsche Bewegung lädt in diesem Jahr die internationale degrowth-Gemeinde zur vierten degrowth-Konferenz nach Leipzig. Als „Organisator_innen“ sind unter anderem die Universität Leipzig (die ihr kritisches Vermögen letztens durch die ausschließliche Verwendung weiblicher Formen in der Unibürokratie präsentierte) und das DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften der Universität Jena angegeben.
Die Krise ist also systemimmanent. Fraglich ist nur, was als „das System“ verstanden wird und was jenseits dessen liegen soll. Da auch schon mal Vorträge zu „nachhaltigem Eigentum“ gehalten werden kann der Kapitalismus, als dessen grundlegende Voraussetzung Marx das Privateigentum erkennt, wohl kaum gemeint sein. Hört man Niko Paech von lokaler Herstellung und kurzen Produktionsketten schwärmen, deren Waren den anderen höchstens über kuschelige Regionalwährungen zur Verfügung gestellt wird, so drängt sich die Frage auf, welcher Bestandteil dieses ideologischen Fundus ernstgenommen werden soll.
Die Bewegung ist derzeit noch heterogen: Von Zeitschriften, die teils wie eine grün gefärbte brand eins wirken, bis hin zu selbstgebastelten Readern und Flugblättern reichen die Formen der Vorschläge zum ökologischen Wandel. Vorgebrachte Konzepte gehen von Produktion und Konsumption in Stoffkreisläufen, über DIY-Traktoren für den Subsistenzgarten bis hin zu Skype statt Fernreise.
Um das krude Gewirr zu lichten, stellt Zweifel und Diskurs einzelne Fragmente der Bewegung gegebenenfalls samt ihres theoretischen Überbaus in einer kleinen Artikelserie vor.
J.Belbo