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„Halle bleibt“…merkwürdig

Die vor einiger Zeit vermutlich wegen Fadheit und Irrelevanz eingestellte Bonjour Tristesse meldete sich im letzten Monat wieder zu Wort, um das Immergleiche festzustellen: Die Ossis mögen Betriebsausflüge, Nazidemos, Flut, Hauptsache es passiert etwas. Richtig flau wird einem erst, wenn man in der Sächsischen Zeitung die Meldung Hoyerswerda lädt 1.400 Fluthelfer zu Festival ein erblickt: „Angeschrieben wurden unter anderem die Stadtverwaltungen in Königstein, Pirna, Grimma, Döbeln, Halle, Magdeburg und Wittenberge.“ Wer beim Anblick dieser Gästeliste in Kombination mit dem Veranstaltungsort kurz stutzt, verspürt vielleicht auch das diffuse Gefühl, dass in den neuen Bundesländern irgendetwas nicht stimmen kann.
Ins Auge fällt beim Lesen der Sonderausgabe der bonjour tristesse die Bemerkung, dass auch die Linksradikalen sich als Fluthelfer betätigen. So albern wie es erscheinen mag, ist auch die Empörung darüber,
dass auch die Autonomen sich dem gemeinschaftlichen Trubel anschließen und zur Schippe greifen, um unmittelbar beteiligt die Ausnahmesituation mitzuerleben, nicht so abwegig wie andernorts. (Zu kritisieren ist natürlich nicht das Füllen von Sandsäcken, sondern das davon kaum zu trennende Beiwerk. Würden die tapferen Helferlein ihre Energie darauf richten, so blieben allen die im Flugblatt attackierten Phänomene erspart.) In Halle ist es über Jahre hinweg gelungen, das lokale Geschehen kontinuierlich zu kritisieren und gerade das Tun all der linken Engagierten mit Einwänden nicht zu verschonen. Auch wenn man es nach der Fahrt durch die Provinz nicht mehr für möglich hält, so fanden sich in Halle doch die kleinen Residuen des Denkens.
Aktueller Anlass, die zusammenrückenden Hallenserinnen und Hallenser zum Versuch, einen klaren gedanken zu fassen, aufzufordern, ist der diffuse Aktivismus um „Halle bleibt!“, einem Bündnis gegen die Einsparung der klinischen Forschung an der hallenser Medizinfakultät. Die AG no tears for krauts zeigt in einem Flugblatt das Ansinnen der Protestierenden auf: spart bei den andern und spart dabei unseren Wirtschaftsstandort nicht kaputt. Neben dem Einebnen der marginalen Möglichkeiten, an deutschen Universitäten das kritische Denken zu erleichtern, was zurecht beklagt wird, wird die örtliche Fragmentierung des Wissenschaftsbetriebes darin nur unzulänglich aufgezeigt. Die Alliierten haben nach dem zweiten Weltkrieg nicht ohne Grund die spezialisierten Hochschule als inakzeptabel erachtet:

„Am 9.4.1946 erfolgte die Neugründung der TH durch die Briten, jetzt unter dem Namen “Technische Universität Berlin”. Es wurde die Fakultät 1 gegründet, um den Naturwissenschaftlern und Ingenieuren die ethische Dimension ihres Handelns aufzuzeigen. Die übrigen Fakultäten mussten in der Nummerierung um eins nach hinten rücken.“ (antifatuberlin.blogsport.de/category/historisches)

Zu beklagen sind weniger fade Seminare, wobei Altersunterschiede um wenige Jahre sich selten signifikant auf den Erkenntnisgewinn aus Diskussionen auswirkt (wie im Flugblatt angedeutet), als vielmehr die Herumdümpeln unter Seinesgleichen. Wer das Privileg genießt, aus Bitterfeld zwecks Studium in eine größere Stadt zu ziehen, sollte nicht von der sperrlichen Restvielfalt an anderen Gedanken abgeschirmt werden. Dies ist jedoch stets Folge von „Spezialisierung“ im Hochschulbetrieb.
Unterdessen erinnert sich die Antifa in Halle, dass es da noch irgendetwas gab, vor der Absorbtion durch die Uni: Nun wird die Zielgruppe der Pre-Immatrikulierten identifiziert, das Konzept der Straßen aus Zucker aufgegriffen und eine eigene Schülerzeitung zusammengebastelt:


Es ergeben sichmerkwürdigerweise doch immer wieder neue Gründe, sich aufzumachen, auf dem Weg tüchtig zu gruseln und dort anzustoßen, auf den nächsten kläglichen Versuch der kritischen Intervention. (Gemein ist nicht die ebenfalls in Halle agierende Gruppe.)