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Degrowth 2 – Der Ruf nach dem natürlichen Gleichgewicht als Aufschrei gegen die Zersetzung der Dorfgemeinschaft

Gar unübersichtlich sind die Freunde der Schrumpfung. Eine Menge von Aussagen oder Haltungen als monolithischen Korpus der Degrowth-Bewegung zu fassen geht fehl. Die Konzepte und Strategien sind vielschichtig und widersprüchlich, das grobe Gerüst geht kaum hinaus über die Analyse, die schon mit „The Limits of Growth“ artikuliert war: die Menschheit beeinträchtigt ihre Umwelt in gravierender Weise. Seit Jahrzehnten passiert dies in wachsendem Maße, sowohl hinsichtlich des Verbrauchs von Ressourcen, als auch bezüglich Störung biologischer Vorgänge durch toxischen Abfall. Diese Zersetzung des Lebensraums als enorme Gefahr auszumachen und dagegen angehen zu wollen, ist nur zu gut verständlich. Doch diesem Ausgangspunkt entspringt ein Vielzahl von Strategien und Entwürfen, die durch den löblichen Anspruch nicht zwingend gefahrlos sind.
Der Degrowth-Bewegung ist eine gewisse Feindlichkeit gegenüber Luxus nicht fremd. Eine wiederkehrende Figur im Postwachstumsdiskurs ist der „übertriebene Wohlstand“ der westlichen Industrienationen, in denen der unnütze Konsum auf ein untragbares Level angewachsen sei. Glücklicher mache dieser nämlich niemanden, da die Bedürfnisse gesättigt und der Konsum das Wohlbefinden kaum noch steigere. Wenn Niko Paech Schwellenländern ein Wirtschaftswachstum zubilligt, seinen Nachbarn hingegen die Smartphones streitig machen will, setzt er ein fixes, anzustrebendes Niveau von Konsumtion und Produktion. In Vorträgen präsentiert er diese Vorstellung eines gesunden Equilibriums durch eine horizontale Gerade, der sich von oben Industrienationen, von unten Entwicklungsländer annähern müssen.

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Auffällig häufig dienen „wir hier in Deutschland“ oder „wir Deutschen“ als Code für eine Gemeinschaft mit einem Lebensstil auf hohem Produktionsniveau, welches es nun abzubauen gilt. Das soll zweigleisig geschehen: durch den notwendig miteinander einhergehenden Rückbau von Industrie und Verzicht auf Produkte der Industrie, was Paech „Suffizienz“ nennt sowie durch Ausbau von Selbstversorgung „ohne Geld, Globalisierung und Arbeitsteilung“, also Subsistenz. Der zentrale Übeltäter ist für Paech die stark differenzierte Arbeitsteilung mit ihren langen Produktionsketten und Transportwegen. Er ist in seiner Globalisierungsfeindschaft nur konsequent, wenn er für die Produktion in kleinen dörflichen Assoziationen und die nachbarschaftliche Distributionen qua Regionalwährung plädiert. Die Deutschen sollten sich also auf das höhere Ziel besinnen, sich von Weltmarkt und Luxus abgrenzen und endlich, als Dorfgemeinschaft, das richtige Leben beginnen. Das Wort global benötigt er nur in Bezug auf die Schadensdimensionen. Hinsichtlich der Handlungsoptionen ist Deutschland als Rahmen schon fast zu groß und vermutlich zu abstrakt. Die Vision gemütlicher Gemeinden mit Regionalwährungen klingt nicht nur zufällig nach der Kleinstaaterei zum Ende der Feudalzeit, die noch nicht den mit „civic nation“ assoziierten hohen Grad an Vermittlung kannte.
Die personifizierten Feinde im hier und jetzt sind die „Zombies“, die mit „Einwegkaffeebecher und zukünftigem Elektroschrott“ in das Blickfeld des aufgewühlten Asketen kommen. Denn sie sind es, die die Gemeinschaft weiter auf die Apokalypse zutreiben, statt den Garten nebenan zu bestellen. Ihm ist unbegreiflich, wie Menschen sich lieber neue Hemden aus den USA bestellen und bei kanadischem Whisky ihr Deutschtum und ihr Heimatdorf vergessen.
Der Vortrag, aus dessen Mitschnitt der Autor Aussagen Paechs entnahm, wurde auf dem Zukunftstag der Evangelischen Jugend Oldenburg gehalten. Dass er mit dem Fahrrad anreisen konnte, war vermutlich nicht der einzige Grund für ihn, die Einladung wahrzunehmen. Die Sorge um die Umwelt und der ehrbare Verzicht erscheint als säkularisierter Protestantismus. Luther zwang den Gläubigen den Fleiß und die Genügsamkeit auf. Die Intention der Protestanten ist dabei die Hoffnung auf die Gnade Gottes, die individuelle Vergebung der unabwendbaren Schuld. In der Postwachstums-Variante stellt sich das Leben als nicht geringere Buße dar, jedoch ist der Gott herabgeholt und wieder der Natur zugewiesen. Doch während der Religiöse die Erlösung nach einem gottesfürchtigen Leben selbstbezogen erwarten darf, ist das Heil für den Klimaschützer Paech an die Mitarbeit aller geknüpft. Die Folgelosigkeit der eigenen Mühen sind ihm nur all zu bewusst, die Hoffnung auf breite Beteiligung nahezu verworfen. Es bleibt für ihn nur die bissige Rolle des ungehörten Warners, der die Apokalypse kommen sieht, doch keinerlei Engagement seiner Mitmenschen initiieren kann.
Paech ist entrüstet über die fehlende (Verantwortung stiftende) Identifikation des einzelnen Menschen mit seiner Gattung. Doch statt die Ursachen für diese generelle Haltung ergründen zu wollen, beschränkt er sich auf die trotzige Forderung, jeder solle gefälligst sparen. Der Widerspruch zwischen dem Unterlassen bewusster Umweltschädigungen und eigenem materiellen Auskommen existiert erst durch das Kapitalverhältnis als zweiter Natur, zu dessen Schutz die Menschen antreten, anstatt es als Quelle der Entfremdung des Menschen von der Menschheit aufzuheben.marx

„Der Kommunismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordne Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen. Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus Humanismus, als vollendeter Humanismus Naturalismus, er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflosung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung.“ (Karl Marx – Ökonomisch Philosophische Manuskripte)

J. Belbo