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Degrowth 3 – Auf zu neuen Paradigmen des Immerselben?

Im Frühjahr 1987 veranstaltete die Evangelische Akademie Arnoldshain eine Tagung zum Thema „Ökonomie und Zeit“, deren wohl berühmtester Teilnehmer, Nicolas Georgescue-Roegen, seine Gedanken zur Entropie in der Ökonomie vorstellte. Sein Hauptwerk The Entropy Law and the Economic Process in Retrospect ist eines der theoretischen Fundamente von degrowth.

Im April 2014 lud die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt zu einer Tagung in Wittenberg mit dem Titel „Ars vivendi – Die Kunst zu leben. Vom bewussten Umgang mit begrenzter Zeit“, bei welcher heutige Verfechter der Postwachstumsökonomie wie Gerrit von Jorck sprachen. Und bereits die Einladung zeigt auf, dass es um „verändertes Konsumverhalten oder neue Formen der Beteiligung am Erwerbsleben“ gehen soll. Zeit wird herausgegriffen als Perspektive, mit der man sein eigenes Dasein durchdenken soll. So geht es um Zeitmanagement, Freizeit, gar Muße un Meditation. Als „Zeitpionier“ wurde der VWL-Primus Gerrit von Jorck dargestellt, den der Spiegel porträtierte, weil er trotz tollem Abschluss nicht so viel arbeiten will wie Seinesgleichen. Er lebte einige Zeit von 500 € im Monat, durch wöchtlich 10 Stunden Arbeit beim Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung statt Arbeitslosengeld. Inzwischen hat er sich das anders überlegt, geht die doppelte Zeit für das doppelt Geld arbeiten und betätigt sich nebenbei als „Freiberufler“. Der Spiegel war begeistert von von dem jungen Mann, der „mit dem Fahrrad und nicht mit den Bahnen führt“ und „abends höchstens mal zwei Bier in der Kneipe trinkt, statt Cocktails in der Szenebar“. Er verzichtet fleißig, wo es nur geht und sich das Bisschen, was er braucht fair erarbeitet. Ein Student, der sich für gerade mal 12,50€ aus dem Bett quält, um an seiner Passion herumzuforschen und trotz Semesterticket die U-Bahn meidet, um sich nicht am Abrieb der Bremsen zu beteiligen. Wow. Den freiwilligen Verzicht abzufeiern, wo doch „im Supermarkt die Billig-Marken such[en]“ für viele Menschen völlig normal und für nicht wenige die materielle Not der Alltag ist, erscheint weder dem Spiegel noch den Tagungsveranstaltern als geschmacklos. Dass es manchen nicht vergönnt ist, nach freiem Ermessen die in Lohnarbeit investierte Zeit frei nach den individuellen Ansprüchen zu skalieren, weil sie trotz Schufterei nicht mit dem Arsch an die Wand kommen, kommt keinem der ökologisch engangierten Zeitdurchdenker in den Sinn. Vielmehr schlagen sie sich auf die Seite von beispielsweise Sarkozy, der „das Glück“ als neuen Indikator für Wohlstand bemühen möchte, um objektives Elend zu verschleiern.

Damals wie heute ist eine Evangelische Akademie der richtige Ort, um für asketisches Leben und tatkräftiges Engagenement zu werben. Nur hatte sich Georgescue-Roegen nicht die Zeit zum Thema genommen, sondern wollte einen „Paradimenwechsel“ durch eine Parallele in die Physik herbeiführen. Lang und breit erklärt er in The Entropy Law and the Economic Process in Retrospect den Begriff der Entropie, behauptet, für die Wirtschaft gelte der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auch, macht sich mit dieser Erkenntnis über seinen Genossen Herman Daly lustig, der mit seiner steady-state-economy irgendwann ja doch die Ressoucen aufbrauchen würde und fordert konsequente Sparsamkeit mit Rohstoffen und Energie.

Die Entropie beschreibt zunächst die Anzahl möglicher Zustände, welche Teilchen einnehmen können. In einem Kristallgitter (z.B. Eis) sind die Teilchen relativ stark an ihren Platz in der Struktur gebunden, man spricht von geringer Entropie. Bei Wärmezufuhr bewegen sich die Teilchen mehr und mehr, sie lösen sich aus der Struktur – die Entropie steigt an. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt nun, dass die Entropie in einem geschlossenen System nicht abnehmen kann. Das heißt, Energie nimmt zwangsläufig Formen an, in denen Sie nicht mehr nutzbar ist. So führen alle mechanischen Prozesse aufgrund von Reibung oder Stößen zur Umwandlung mechanischer Energie in thermische. Das Perpetuum Mobile zweiter Art, welches die Ozeane um wenige Kelvin abkühlen und daraus enorme Mengen nutzbarer Energie schöpfen könnte ist unmöglich.

Georgescue-Roegen wendet diese physikalischen Gesetzmäßigkeiten auf die Ökonomie dahingehend an, dass er Produktion und Konsumtion als Umwandlung nutzbarer Energie und Ressourcen in Wärme und Müll fasst. Selbst Recycling von Stoffen und Solarenergie sind für ihn kein Ausweg, da faktisch in vielen Prozessen eine irreversible Abnutzung stattfindet (z.B. Getriebeabrieb, Rost) und die Solarenergie wiederum einen Aufwand an Energie und Stoffen erfordert. Er griff damals mit diesen Thesen einen Zeitgeist an, der auf Technologie als Allheilmittel setzte und die Ansicht vertrat, dass mit genügend Aufwand an Arbeit und Equipment jegliche Knappheit zu lösen seien. Es werden also zwei verschiedene Vorstellungen von ökologischem Wirtschaften deutlich: Die einen gehen von reversiblen Prozessen aus, malen sich eine Welt aus, in der alles durch Recycling und Solarenergie in umweltverträglichen Kreisläufen zirkuliert und nennen das dann Cradle-to-cradle. Die anderen folgen dem Georgescue-Roegens Entropiemodell und forcieren die strikte Sparsamkeit mit Energie und Ressourcen, deren problemlose Reproduktion nicht gewährleistet ist.

Mit dem Titel The Entropy Law and the Economic Process in Retrospect assoziierte ich spontan Endzeitvisionen, die dem Kapitalismus immanente Mechanismuen zur Selbstzerstörung attestieren. (In Konkret 7/2014 stellt Rainer Trampert einige Zusammenbruchstheorien vor, denen man nur zu gut eine hinkende Übertragung physikalischer des Entropiekonzepts auf den Kapitalismus unterstellen könnte.) Georgescue-Roegens Aussagen hängen jedoch nicht im geringsten mit der Vermittlung zusammen, für den Physiker ist hier das Produkt ausschließlich Produkt und nicht Ware. Der geforderte Paradigmenwechsel ist ebenso losgelöst von der Gesellschaftsform. Doch der Verzicht auf eine einhergehende Kapitalismuskritik macht den Mann weit sympatischer als die sich auf ihn berufenden Freunde der Regionalwährung.

J.Belbo