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Denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint. 1

Die Begriffe, die das uneingelöste Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft einst ausbuchstabierten, fallen der Relativierung zum Opfer. Freiheit und Gleichheit, an deren praktischer Verkehrung Marx noch ansetzen konnte, sind heute selbst als Begriff entwertet. Was als Ziel des Einzelnen bleibt, der sich mit Unfreiheit und Ungleichheit als „alternativlos“ abgefunden hat, ist das private Glück als privat ersehntes. Das heißt, es wird völlig subjektiv und damit ohne gemeinen Inhalt gedacht. Eine objektive gesellschaftliche Ebene der Emotion Glück und ihrer Ursachen, ein allgemeiner Begriff von Glück, diffamierte die Verhältnisse als steter Quell von Hilflosigkeit, aus deren Erfahrung die Ohnmacht sich speist.
Im August 1941 schrieb Adorno an Horkheimer als Kommentar zu dessen Aufsatz über Neue Kunst und Massenkultur:

„Etwa, wie wenn man, verlassen auf einer Insel, verzweifelt einem davonfahrenden Schiff mit einem Tuch nachwinkt, wenn es schon zu weit weg ist zum Rufen. Unsere Sachen werden immer mehr solche Gesten aus Begriffen werden müssen und immer weniger Theorien herkömmlichen Sinnes. Nur daß es eben dazu der ganzen Arbeit des Begriffs bedarf.“ — Adorno an Horkheimer, 21. 8. 1941, in: HGS 17, S. 153

Es gab Zeitfenster, in denen es realistisch erschien, selbst den Kurs des Schiffes zu setzen. Die Theorie, die hätte hegemonial werden können, fand sich bei Marx. Doch diese Situation ist nur mehr Erinnerung und die Neue zwingt die Theorie zu einer gänzlich anderen Haltung. Es kann nicht mehr darum gehen, große Konzepte aufzufahren, deren Schöpfer man heute für anmaßend halten muss. Die Einspruch implizierenden Begriffe zu bewahren und zu entwickeln, für die Möglichkeit, diese als Bausteine für Praxis nutzbar machen zu können, ist adäquat. Diese Begriffe beinhalten und reproduzieren die Widersprüche des Falschen, aber sie können sie eben auch zu Tage treten lassen. So arbeiten sich die „Gestrandeten“ (die doch nie aus der Gesellschaft gelöst sind) ab an der Ideologie, in der Hoffnung, sie möge Brüche und Risse davon tragen.
Die Geste, das Nachwinken, sollte in dem Augenblick und an dem Ort erfolgen, an dem möglichst viele Augen der mehr oder minder blinden Passagiere auf diese Geste gerichtet sind. Das heißt, gerade dort, wo der größte Schindluder getrieben wird, kann der Ideologie zugesetzt werden. Nun ist die perfideste Baustelle kapitalistischer Verdrehung: das Glück.
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, so appelliert das Kapital an die Arbeitsmoral aller Beteiligten. Wer weniger abbekommt, hat sich nicht genug Mühe gegeben und wer reich ist, war asozial gierig. So werden die bürgerlichen Kümmerformen von Gleichheit und Freiheit schon früh verstanden. Der oftmals fragile materielle Wohlstand ermöglicht feine Sachen wie Komfort, Bildung oder bessere Gesundheit. Doch der aristokratische, zum schöngeistigen befähigende Müßiggang eines Marcel Proust findet sich nur noch selten. Um seinen Lebensstandard zu halten ist der Kapitalist sowohl gezwungen, das Kapital zu investieren, anstatt es zu verfressen, als auch die Produktion auf die aktuelle Nachfrage auszurichten, anstatt die Ziele frei zu diktieren. Offenbar zwingt die Akkumulation alle Beteiligten in ihre mehr oder minder verschleißenden Rollen.

„Er [der bürgerliche Mensch, J.B.] produziert eine Welt der großartigsten und wunderbarsten Dinge, aber diese seine eigenen Geschöpfe stehen ihm fremd und drohend gegenüber: sind sie geschaffen, so fühlt er sich nicht mehr als ihr Herr, sondern als ihr Diener. […] Aus dem Werk seiner Hände, bestimmt ihm zu dienen und ihn zu beglücken, wird eine ihm entfremdete Welt, der er demütig und ohnmächtig gehört.“– Erich Fromm: Zum Gefühl der Ohnmacht in Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 6, 1937, S. 95)

Hilflos gegenüber dem Produkt sind die Produzenten nicht durch die Entfremdung, die notwendig ist, um allgemeine Versorgung effizient zu gestalten. Die angesprochene Drohung ist die, nicht mehr versorgt zu sein. Subjektiv wahrgenommen wird diese Hilflosigkeit als Ohnmacht.
Erich Fromm hielt das Gefühl der Ohnmacht für derart wichtig, dass er vorschlug, die Neurose von der (oft unbewussten) Ohnmacht her zu greifen. Nun kann nach der Aktualität gefragt werden: Die in den Text eingeflossene Erfahrung stammt aus einer Zeit, in der gerade etwas Schlimmes in Deutschland passierte, was noch nicht so recht zu fassen war; die vorangehenden Jahrzehnte aber eben auch emanzipatorische Momente enthielten. Und wie zweifelhaft deren inhaltliches Potential auch gewesen sei: Zusammenschlüsse zum tätlichen Aufstand konnten sich mitunter tagelang zur Wehr setzen. Es waren vielleicht keine Sprungfedern zur Transformation der Gesellschaft, doch politische Einmischung hatte noch Resonanz. Heute sind die Erfahrungen nahezu gänzlich frei von dieser Resonanz des Selbstbewusstseins. Wo Gesellschaft seit dem tatkräftig umgestaltet wird, geschieht dies gerade gegen individuelle Freiheit und abseits von der Hoffnung auf irdisches Glück. Die Nazis hatten, so musste in den Jahren nach Erscheinen von Fromms Text schrittweise eingesehen werden, die Unmündigkeit bereits zur Prämisse. Verfolgt wurde die mimetische Erfahrung, wie das Schwelgen im Duft, als auch alles, was an Rechte und Freiheiten des Einzelnen erinnerte. Die Gotteskrieger von heute trachten ebenso nach Auslöschung des individuellen Glücks. Ihre Resonanz ist das Ohnmachtsgefühl im nach Freiheit strebenden Subjekt.
Doch zurück zum Versuch, den Davonfahrenden zu winken, die ihr Schiff am laufen halten, ohne aufzublicken. Die erwähnte Geste muss so gestaltet sein, dass sie die Verhältnisse mit bitterer Klarheit denunziert. Sie soll bewusst machen, wie die größten Widerwärtigkeiten als natürlich, notwendig oder gar erstrebenswert dargestellt werden. Zu attackieren ist die Reklame um das Glück, da in diesem Wort einst steckte, was die Aufklärung trieb: Glück hat letzten Endes Code zu sein für die Überwältigung der Hilflosigkeit, die Bemächtigung der eigenen Möglichkeiten. Teil dessen ist der objektive Anspruch, Gesellschaft bewusst vernünftig einzurichten. So weit zur Lage auf dem Schiff.
Das Subjekt kann zwei Ausprägungen von Glück erfahren: das aktive Vorgehen gegen die Hilflosigkeit, welches Ohnmacht verdrängt, ruft somit aktives Glück hervor. Das Sich-hingeben an eine Erfahrung, von der man sich überwältigen lässt, ist wiederum eine passive Form. Hier stellt sich das Subjekt gegen die rastlose Geschäftigkeit, welche von der Ohnmacht hervorgerufen wird. Die Hilflosigkeit bleibt, doch die Ohnmacht kann in der sinnlichen Erfahrung temporär auf Eis gelegt werden.
Dass die Welt, wie sie aktuell eingerichtet ist, sehr vielen Leuten nicht Zeit und Mittel lässt, sich sinnlichen Erfahrungen zu widmen, ist objektive Hilflosigkeit. Täglich ist offenbar, wie widerwärtig Kapital und Staat das Leben zurichten, wenn nicht gar beenden. Wir wissen genug darüber, wir müssten es nur begreifen. Ein vorscheinhafter Begriff von Glück, der sich abstößt von oktroyierter Ohnmacht, kann die Geste sein, die ein mehr als angebrachtes Entsetzen an Bord hervorruft. Denn die reale Quelle der Ohnmacht, die systematische Hilflosigkeit, ginge daraus als anzugreifender Punkt hervor.
Doch wenn die Theorie dem Hoffen auf ein Wunder durch blanke Aktivität geopfert wird, so geht es nicht gegen die Ohnmacht, sondern in ihre Perfektionierung:

Man verzichtete darauf, zu wissen, was man ändern wollte und wie man es abändern könnte, und glaubte, daß irgendein Umschwung, auch wenn man ihn seinem Inhalt nach gar nicht bejahte, besser sei als gar nichts und zum mindesten die Möglichkeit in sich berge, das zu vollbringen, woran die eigene Anstrengung gescheitert war. Diese Hoffnung auf einen Umschwung, wie immer er auch geartet sei, war der Nährboden für das Wachstum der zum Siege des autoritären Staates führenden Ideologie.“ — Ebd., S. 102

Gerade das diffuse, privat ersehnte Glück und die Vorahnung, dass es verstellt ist, sind potentielle Triebfeder für Panik. Wenn das Individuum die Ausweglosigkeit spührt, ohne sie zu fassen zu bekommen, bleibt nicht viel außer dem Erstarren und der Raserei.

  1. Der Titel ist dem Lied „DMDKIULIDT“ der Gruppe Ja, Panik! entliehen. [zurück]