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Aus der Praxis (1): Du bekommst die Ware nicht raus

Neulich im Argumentationstraining schilderte eine Barkeeperin ein Erlebnis während ihrer Arbeit in einer linken Kneipe. Sie beschrieb, wie sich ein Kollege darüber aufregte, dass ein paar etwas abgerissen wirkende Gestalten alle Kleidung aus einer vor dem Haus angebrachten Free-Box nahmen. Er mutmaßte, dass die wohl vom Balkan stammenden Leute die Klamotten auf dem Flohmarkt o.ä. anböten, also gar nicht für den Eigengebrauch zugegriffen hätten. Einmal dem kommerziellen System entrissen, sollten doch die abgetragenen Pullis und zerschlissenen Jeans nicht wieder zu schnödem Mammon gemacht werden.

Wir überlegten nun, wie denn dem Kollegen zu antworten sei. Dass Profitgier anders aussieht, wollte ich zeigen anhand der Überlegung, welcher Stundenlohn sich ergibt bei einem angenommenen Preis von vier Euro pro Teil, einer Verkaufswahrscheinlichkeit von 50 Prozent und einer Wartezeit von 30 Minuten für die Verkäufer, zuzüglich Aufwand für die Beschaffung der Klamotten. Als wir gerade grübelten, weshalb sich jemand so darüber aufregt, dass bettelarme Leute den Tand aus der Free-Box wieder in Verwendung bringen, schob mir jemand eine Notiz zu: Du bekommst die Ware nicht aus dem Produkt.

Damit war zu meinem Appell um ein Verständnis, das den Vorwurf, indem er ihn aufnimmt, zu widerlegen versucht, eine abstraktere Überlegung hinzugekommen. Der Äußerung des Kollegen liegt ja eine Enttäuschung zugrunde: dass nicht einmal eine Sachspende der Verwertung entrissen ist. Diese systemische Enttäuschung, konvertiert in Entrüstung, sticht das Mitleid mit den realen Armen, die die unterste Stufe der Verwertung besetzen, und lässt sie allein. Sie haben keine Zeit, sich mit Ohnmachtsgefühlen, tiefgreifenden Enttäuschungen abzugeben. Er trauert, sie arbeiten.