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Produktion, das sind immer die anderen

I Trennung der Sphären

Denke ich an den Stand der Diskussion über „alternative Wirtschaftsmodelle“, so sehe ich vor mir, wie WachstumsgegnerInnen und UmweltschützerInnen gemeinsam verschiedene Paragraphen zur Einschränkung bzw. Förderung jeweils schlechter bzw. guter Sachen vorbereiten1. Diese Reformvorschläge bringen sie zeitgemäß in Petitionen ein. Dementsprechend zeigt die Konjunktur von Vereinen wie Campact, wie Protest funktioniert bzw. was Protest heute zu bieten hat. Der Appell an die staatliche Reglementierung der allzu sichtbaren Schweinereien zeigt, wie weit weg der Ort des Geschehens bzw. der adressierte Missstand den AktivistInnen und kritischen KonsumentInnen erscheint. Nur ein Teil der Empörten kümmert sich, statt um die falsche Konsumption von Waren, um deren Erzeugung. Änderungen in der Produktion versprechen sie sich letztlich dennoch von gesetzlichen Limitierungen2, wobei die privatwirtschaftliche Unternehmung selbst nicht in Frage gestellt wird – dem gierigen Management aber dennoch der Spielraum genommen werden soll. Wenn doch mal über die ArbeiterInnen gesprochen wird, dann aus anderer Perspektive: Die Diskussion dreht sich um das Arbeitsverhältnis und die Arbeitsbedingungen, endet jedoch vor dem Ziel und dem Ergebnis der Beschäftigung. In dieser Denke sind Betriebsräte jene Leute, die sich um die Unterlagen für die Kündigung oder Neueinstellung kümmern und gelegentlich die Arbeitssicherheit und den Datenschutz ansprechen. Die Belegschaften als Interessengruppen sind derzeit jedoch nur in Ausnahmefällen Sphären politischer Auseinandersetzung. Dass Arbeitskräfte tatsächlich in Relation zu den Produkten bzw. Leistungen gedacht werden, kommt selten vor. So entfremden sich die ArbeiterInnen nicht nur vom Resultat ihrer Arbeit; sie verschwinden in der öffentlichen Wahrnehmung auch noch hinter ihrem Produkt. Das ist nicht neu: Hitler hat die Autobahnen schließlich auch alleine gebaut. Das Unbehagen in der Waren produzierenden Gesellschaft artikuliert sich viel häufiger als Kritik der KonsumentInnen am Angebot (Auto zu groß, Huhn zu unglücklich, Strom zu nuklear), denn als Kritik der ArbeiterInnen an ihrem Auftrag. Der Protest leitet sich also aus dem Privaten ab, wo wir mit dem Auto fahren, ein Spiegelei essen und das Auto aufladen. „Politischer Aktivismus findet in Deutschland meist nach Feierabend statt, gern auch am Wochenende und anlässlich von Groß-Events. Der Arbeitsplatz gilt als tendenziell unpolitischer Raum, für die herrschende Klasse steht er auch außerhalb der Demokratie.“ (Wigand, Rote Hilfe 3/2020) Uns geht es hier weniger um das Demokratieverständnis der Arbeitgeber, mehr um das von uns ArbeitnehmerInnen selbst. Sich als potenzielleN politischeN AkteurIn qua Lohnarbeit zu verstehen bietet den Raum, abseits von der Rolle als Wahlvieh und KonsumentIn einen Handlungsspielraum zu entdecken, der nicht unmittelbar von Staat und Kapital (so) vorgezeichnet ist. In diesem Sinne soll auch der Titel dieses Textes erinnern ans das simple Credo: The systems works because you work3. Der Angestellte, heißt es bei Christa Wolf richtig, sei „eine Art Mensch während der Arbeit in seinem Institut; eine andre Art Mensch in der Versammlung; und eine dritte Art Mensch „privat“, abends, wenn er nach Hause komme. Und er benutze auch in seinen drei Leben, die nicht miteinander zusammenhingen, verschiedene Arten von Wörtern: die wissenschaftlichen, die politischen, die privaten – die er für die eigentlich menschlichen halte.“ (Vorlesung zu Kassandra)4

II Neue gesellschaftliche Prinzipien

Warum das Private hier qualitativ abgeschieden wird, überlegen wir später. Zwischen dem Selbstbewusstsein als ArbeiterIn und dem als politische Person kommt es zu einer Verbindung, sobald eigener Arbeitskampf ansteht, etwa durch Streik. Die Abtrennung der Sphären hält also zunächst von einer Umgestaltung ab, kann jedoch instabil werden. Wie eine solche Umgestaltung aussehen könnte, lässt sich in Grenzen durchaus vorwegnehmen. Diese Vorwegnahme ist notwendig beschränkt und muss sich dessen bewusst bleiben. Die wirkliche Bewegung wird notwendigerweise von den Menschen selbst ausgehen, nicht von unseren so gut ausgedachten Ideen. Deswegen verstehen sich die auf Gestaltung von Planwirtschaft gerichteten Gedanken hier als Übung mit notwendig falschem Ergebnis. Vom Streik und den Optionen einer organisierten Belegschaft ausgehend liegt es nicht fern, etwa die Belegschaftskontrolle über Betriebe wenigstens zu diskutieren, bzw. etwas später vielleicht sogar deren kollaborativen Güteraustausch bis hin zu durchgängigen Wertschöpfungsketten komplexer Produkte. Solche Gedankenexperimente tun nicht weh und gelegentlich schreiben Leute sie auf. Die Gruppe Paeris z.B. hat in Phase 2 #36 (2010) die FAQ zu einigen Aspekten sozialistischer Ökonomie aufgemacht und später eine umfangreiche Literaturliste ins Netz gestellt5. Hier finden sich auch die Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands mit „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ (im Folgenden GIK) und Cockshott und Cottrell mit „Towards a New Socialism“ (im Folgenden CC)6. Aufgegriffen werden diese u.a. von Daniel E. Saros, der im Podcast Future Histories7 ausführlich zu Wort kommt; ergänzt um eine umfangreiche Literaturliste. Wir denken die Möglichkeit, dass Betriebe in Belegschaftskontrolle gelangen (wie es gelegentlich schon passiert), und zwar in einem größeren Ausmaß, sodass sich Produktions-, Distributions- und Konsumptionsgenossenschaften derart verschalten, dass sie Relevanz jenseits veganer Aufstriche erlangen und eine Vielzahl von Belegschaften ihre Produktionsmittel selbst hält. Im Schutze der hypothetischen Spielerei lässt sich fragen: muss ich in einer Wirtschaft aus planwirtschaftlich arbeitenden Betrieben für die bezogenen Güter und Dienstleistungen noch bezahlen? Dieses Heft diskutiert an verschiedenen Stellen Konzepte, die als Übergangslösung die individuell verausgabte Arbeitszeit als Bemessung für den Bezug von Produkten vorschlagen. Besonders detailliert findet sich das bei GIK und CC. In beiden Ansätzen ist diskutiert, inwiefern zunächst die von Marx vorgeschlagenen Arbeitsscheine helfen könnten, um die zur Verfügung stehenden Produkte entsprechend der aufgewendeten Arbeitszeit zu verteilen. Anstatt Lohn in Form von Geld werde ein Beleg über die erbrachte Arbeit ausgegeben, der eingetauscht werden könne gegen Produkte gleicher Arbeitszeit: „Er [der Arbeiter] erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.“8 Hannes Giessler Furlan stellt die Marx’schen Arbeitsscheine in Phase 2 #57 den historisch zeitiger vorgeschlagenen Stundenzetteln nach Proudhon gegenüber, welcher jedoch die Überwindung der privatwirtschaftlichen Produktion nicht voraussetzen wollte. Die zentrale Stelle müsste den Wert dieser Zettel garantieren, also auch die Verfügbarkeit nachgefragter Waren sicherstellen, also die Bedarfe erfassen und die Privatproduzenten anleiten, was in einer total zentralistischen Organisation der Wirtschaft endet, so die Überlegung bei Giessler Furlan. Proudhon fungiert hier nur exemplarisch für Kritik der Ökonomie, die das Eigentum erhalten möchte, jedoch die Vermittlung auf Märkten per Geld zu ersetzen trachtet, um so dem Finanzkapital das Handwerk zu legen. Sobald ein privates Interesse die Produktion anwirft, geschieht dies antagonistisch zu den (wie auch immer zu entlohnenden) Beschäftigten und antagonistisch zu potenziellen Abnehmern. Wer nun denkt, mit Marxens Arbeitsscheinen in der sozialistischen Produktion sei die Ausbeutung überwunden, dem hält Ulrich Weiß entgegen, dass die Arbeit nach wie vor die LohnarbeiterInnen erbringen, nun halt im Antagonismus zum sozialistischen Staat. Soll also im Kommunismus das Individuum und die Gesellschaft in eins fallen, um zu verhindern, dass die Einzelperson einer wie demokratisch auch immer beschaffenen Struktur gegenübersteht? Da dies keine Option ist, machen wir uns im Folgenden die Mühe einiger Überlegungen zur sozialistischen Ökonomie. Die Produktion nach den Bedarfen der Allgemeinheit erfordert die fantastisch anmutende Planung durch alle. Die Pointe besteht gerade in der nicht zentralen, sondern dezentral gmeinschaftlichen Steuerung der Produktion, und damit in allgemeiner Verfügung über die Produktionsmittel. Wir schlagen also vor, das Problem andersherum zu betrachten: Spricht eigentlich etwas gegen die Vermutung, dass sich die Leute zunächst für die allgemeine Befriedigung von Grundbedarfen aussprechen werden? Jedenfalls, sobald der Kapitalprofit als beherrschendes Kriterium des Betriebserfolgs wegfällt. Es bedarf natürlich eines vernünftigen, durchschaubaren Verteilungsprinzips. Mit Arbeitsscheinen als Behelf ließe die Verteilung sich organisieren, bis das (Selbst-)Vertrauen in die gesellschaftlich gesteuerte Produktion gefestigt ist, wodurch das Hamstern keinen Spaß mehr macht. Für die entsprechenden Entwürfe und Fantastereien bietet es sich an zu fragen, ob meine eigene Rolle in der Erzeugung von Waren mit der des Konsumenten in Widerspruch gerät bzw. ob das Wirtschaftssystem asymptotisch auf die Aufhebung dieses Widerspruchs zielt. Erst, wenn Erzeugung und Verbrauch vom Antagonismus befreit sind, gibt es keinerlei Anlass mehr zu fürchten, das Gegenüber wolle einen übers Ohr hauen. Zurück zu unseren Entwürfen sind wir bei der Frage angekommen, wie denn die ProduzentInnen mitbekommen, was zu produzieren ist, wenn die KonsumentInnen nicht per kaufkräftiger Nachfrage signalisieren, was sie denn wollen. Auch hier, warum betrachten wir es denn nicht umgekehrt: sind die KonsumentInnen denn nicht mühevoll und eigentlich künstlich in die Rolle des passiven Objekts gedrängt, die ihre Bedürfnisse nur durch sprachlosen Kauf äußern können?

III Konsum und Produktion

Wir sparen uns den Anruf beim Institut für Marktforschung, gehen unseren Wocheneinkauf bei Penny durch, stellen dabei fest, dass wir 80 Prozent davon recht konstant beziehen, womit eine Vorbestellung technisch naheliegend ist. Eine Überproduktion an Lebensmitteln für eine sichere Versorgung trotz Volatilität, etwa durch schwache Ernten, ist übrigens etwas anderes, als die Preisstabilisierung durch Versenken von Butter im Meer. Aber Lebensmittel, stichelt da wer, sind eine überschaubare Sphäre, in Relation zur gesamten Vielfalt der Warenproduktion. Wie soll denn die Produktion wissen, welche Vehikel, Kleider und Maschinen gefragt sind. Können eigentlich DienstleisterInnen einfach angefragt werden? Fragen Sie beim nächsten Termin IhreN FriseurIn, wie sie/er gedenkt, im Sozialismus zu arbeiten! Meine NachbarInnen holen bei mir oft ihre Amazon-Pakete ab, ein paar Tage nach der Lieferung. Bei dieser Form von Shopping ist bereits egal, ob dieses Hemd im Moment der Bestellung im Regal liegt oder dessen Herstellung mit meinem Klick beauftragt wird. Schuhe probiere ich gern an, am liebsten in der Umgebung. Nun könnte ich meinen Bedarf an Produkten einigermaßen präzise ankündigen. Dank Maschinellem Lernen und umfangreichen Datensätzen interessiert das jedoch kaum noch jemanden. Die Vorhersage von Nachfrage funktioniert bereits jetzt erstaunlich gut, sodass Überproduktion eher aus Rentabilität erfolgt, denn aus Unwissenheit. Verdorbene oder vernichtete Produkte schaden dem Geschäft weniger als verprellte Kundschaft. Neben der Aufgabe, die Bedarfe an „bestellbaren“ Produkten zu erfassen, sollte wohl auch die Erweiterung bzw. Aktualisierung des gesellschaftlichen Portfolios berücksichtigt sein. Die Innovation in den Produkten verläuft parallel zur Innovation im Produktionsprozess. Bisher verdienen Leute Geld damit, eine Idee beim Kaffeeklatsch aufzuschnappen, sich Budgetfreigabe zu erbitten und dann das neue Produkt (Gewürzmischung in Teebeuteln!) oder aber eine Produktionsinnovation (Optimiertes Reinigungsverfahren für Abfüllanlagen von Teebeuteln) zu realisieren. Die EntscheiderIn nimmt zähneknirschend die riskante Investition in Kauf (trotz Sparkurs im gesamten Konzern!) und freut sich im Erfolgsfall, wie gut seine/ihre eigene Idee funktioniert hat. Wie nur soll je eine demokratischere – sagen wir zunächst belegschaftsinitiierte – Innovation dieses Erfolgskonzept ablösen? Wer z.B. etwas technisches studiert hat, kann sich kaum über einen Kneipenabend retten, ohne dass die Assistenzärztin am Tisch fragt, ob man nicht mal diese chirurgischen Instrumente mit Augmented Reality ausstatten könne, oder der Fleischerlehrling das Kühllager mit Robotern zu bestücken vorschlägt. Ich habe eher den Eindruck, die Leute muss man bereits jetzt durch möglichst dröge Gestalten im Management aktiv davon abhalten, sich innovativ in Produktionsabläufe einzubringen. Wohl kaum schwieriger sieht es bei Produkten aus. Die durchschnittliche WG-Küche hört monatlich vier solcher Vorschläge, von denen vielleicht nur einer gescheit ist, aber immerhin! Die gemeinschaftliche9 Festlegung, was (nächste Woche) produziert wird bzw. wie eine automatisierte Vorhersage der Bedarfe aus gemessenen Indikatoren parametriert wird, führt zu der Frage, welche Arbeiten eigentlich zur gesellschaftlichen Arbeit zählen, also worüber in der gemeinschaftlichen Festlegung geredet werden soll. Wir kennen die berechtigte Forderung danach, Reproduktion samt Erziehung und häuslicher Pflege gleichzustellen mit dem Job im IT-Unternehmen. Suche ich bei der Arbeit nach passenden Computern und bestelle zehn für das Büro, so kostet das zwei Stunden Arbeitszeit. Die Beschaffung von Medikamenten für Oma oder von Schulbüchern fürs Kind sollten also nicht weniger als Arbeit zählen. Doch was ist mit der eigenen Reproduktion? Wenn ich in der Schlange stehe, oder die Prospekte des Supermarkts durchgehe – sollte das nicht auch zählen als gesellschaftliche Arbeit? Wie steht es um das Verzehren von Lebensmitteln? Welche Mahlzeit wäre dann eigentlich Reproduktion und welche ist Freizeit? Wer das nicht weiß, der tut mir leid. Es erscheint, als sabotiere dies die auf individuell abgeleisteter Arbeitszeit basierender Verteilung, weil die Waren ja nicht mehr der in ihnen unmittelbar enthaltenen Arbeitszeit gegenübergestellt werden. Es erinnert an Inflation. Doch die Voraussetzungen dieser Arbeit drängen berechtigterweise zu ihrer Berücksichtigung: Die in den vergangenen Jahrhunderten den Frauen aufgezwungene Hausarbeit stellt mit der Forderung nach monetärer Entlohnung den eigenen Beitrag in der Wertschöpfungskette heraus. Wenn nun die Artikulation meiner Bedarfe (die Vorbestellung von Lebensmitteln, Kleidung, Fahrrad, die Vereinbarung von Friseur- und Arztterminen) Teil der gesellschaftlichen Arbeit ist, dann beginnt auch hier die Produktion. Aktuell belauschen die Unternehmen die potenziellen AbnehmerInnen, um zukünftige Nachfrage zu erahnen. Geben die AbnehmerInnen plötzlich selbst Auskunft, so ist das deswegen noch lange kein privates Vergnügen, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Die Auswahl und Beschaffung von Produkten ist also gesellschaftliche (zu entlohnende) Reproduktionsarbeit. Daniel E. Saros schlägt etwa vor, die rechtzeitige Ankündigung von Bedarfen durch einen Bonus zu honorieren. Andersherum könnten wir dieses Auswählen und Abholen auch in einer Einheit mit der Produktion sehen: als vor- und nachgelagerte Notwendigkeiten. Das Wort Produktionskette ersetzen wir kurzerhand durch das Wort Versorgungskette. Die gemeinschaftliche Organisation der Bedürfnisbefriedigung kann also zunächst in all ihren Teilen inklusive der Feststellung der Bedarfe als gemeinschaftliche Arbeit verstanden werden, die ebenfalls arbeitsteilig zu erbringen ist. So wie die zu erledigende Reproduktionsarbeit inzwischen danach schreit, als gesellschaftlich essenziell entsprechend entlohnt zu werden, so wäre im Gedankenexperiment die eben angedachte Betonung der Bedarfserfassung und gemeinschaftlichen Produktionsorganisation das Hervorheben von in der Situation zu wenig berücksichtigter Arbeit. Während jedoch die un- und unterbezahlte Arbeit aktuell ist, kommt die antizipierte Arbeit eben erst dann auf, wenn die Produktionsmittel in die Hände der Leute fallen, die sie gemeinschaftlich nutzen wollen. Das Wissen über diese Arbeit entsteht vermutlich erst mit der Aneignung der Produktionsmittel. Doch zurück zur Frage, wie eine sozialistische Wirtschaft gestaltet sein könnte. Die anteilige Verteilung der Produkte basiert bei GIK auf der indiviudell erbrachten Arbeitszeit. Alle Belegschaftsmitglieder erhalten demnach Arbeitsscheine über die durchschnittlich erbrachte Arbeitszeit. Branchenspezifisch wäre zu vergleichen, ob ein Betrieb die Erzeugung von bspw. Zierleisten mit wiederum durchschnittlicher Effizienz betreibt. Liegt die Ineffizienz in technischen Gründen, so hilft ein effizienterer Betrieb sicher gern weiter. Schreibt eine Belegschaft jedoch einfach mehr Stunden, um auch mehr Warenanspruch zu erwirken, so wäre das eine nicht zwischen allen Belegschaften verabredete Verringerung der pro Person zu erbringenden gesellschaftlichen Arbeit. Doch welche Arbeit in diesem Sinne als zu berücksichtigen gilt, muss die Gesellschaft gemeinsam bestimmen, was wir heute vielleicht reflexhaft als staatsähnlichen Apparat denken. Doch auch für dezentrale Optionen gilt an dieser Stelle: je stärker bisher als privat deklarierte Arbeit als gesellschaftliche Arbeit Berücksichtigung findet, je intransparenter ist diese Berechnung. Folgerichtig konvergiert die sukzessive Integration von bisher privater Arbeit in die gesellschaftliche Rechnung (und damit Anerkennung als gesellschaftliche Arbeit) auch in die Überwindung der Arbeitszeitrechnung als Übergangslösung. Letztere wird intransparent, unübersichtlich und umständlich, sobald sie einhergehend obsolet wird. Der Gedanke, dass die private Sphäre zersetzt wird von sozialistischen Versuchen, lässt eventuell manche erschaudern. Das im Wolf-Zitat seltsam anmutende Bild der Privatperson, die die „eigentlich menschlichen“ Wörter benutzt, und den Rollen in Institut oder Versammlung gegenübersteht, lässt erahnen, dass es nicht all zu menschlich zugeht in der Privatsphäre, in der manche die Residuen bürgerlicher Freiheit entdeckt und verteidigt wissen wollen. Wer ein schönes Privatleben haben möchte, sollte ein Interesse daran hegen, die dröge Arbeit daraus zu verbannen.

IV Bilderverbot

Wir reden also davon, immerfort die aufgewendeten Arbeitsstunden zu zählen. Am Kneipentisch wirft nun jemand ein, dass wir uns kein konkretes Bild der befreiten Gesellschaft ausmalen sollen. Insbesondere dürfe man nicht mit Quanten von Arbeit hantieren, da ja der Tausch hierin angelegt sei und damit die kapitalistische Produktionsweise keineswegs überwunden werden könne. Die berühmte Sentenz Adornos gegen das Auspinseln der konkreten Utopie verwies auf die bestimmte Negation statt auf das Ende der Geschichte. Bestimmte Negation wäre ja nun gerade die Suche nach den denkbaren Transitionen für den Versuch, diese anzugehen. Dies steht im krassen Gegensatz zur diffizilen Planung des Ziels in der ganz anderen Welt, die ganz andere Menschen erarbeiten sollen. Wer also darauf beharrt, die unbestimmte Negation im fernen Kommunismus gegen Vorschläge mit potenziell utopischen Zielen zu verteidigen, verlegt Geschichte in ein Jenseits, das zu erreichen er nur träumt, aber nicht zu wünschen sich traut. Die konkrete Arbeit, hört man auch gelegentlich, dürfe im Sozialismus nicht mehr bemessen werden, da ja so die abstrakte Arbeit auf den Plan trete und wir über deren Wert direkt wieder im Tauschverhältnis landeten. Dann denken wir uns halt den Versuch kooperativer Arbeit, meinetwegen im Kommunismus, wo bereits niemand mehr jemandem etwas wegnimmt und Geld nicht ernstgenommen wird. Wollen wir eine komplexe Tätigkeit gemeinsam ausführen, also etwa einen LKW fertigen oder ein Theaterstück inszenieren, so sollten wir unser Vorhaben arbeitsteilig angehen und hinsichtlich Aufwänden planen, damit genügend Material, helfende Hände und Zeit für die Umsetzung jeder Aufgabe vorgesehen sind. Für den Tag der Generalprobe des LKW oder die Karosseriemontage des Theaterstücks sollen alle Zwischenergebnisse bereitstehen. Wenn eine Größe gemessen wird, hier die Arbeitszeit, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, was (gesellschaftlich) mit dieser Information gemacht wird. Hier wäre zumindest das anonymisierte Wissen um die Arbeitszeit notwendig, um überhaupt arbeitsteilig arbeiten zu können. Die individuelle Überwachung der Arbeitszeit einzelner Personen sollte dabei weder erforderlich noch umsetzbar sein. Insofern erscheint die Rechnung mit Arbeitszeit als Technik für gesellschaftliche Vermittlung. Die Zwecke und Inhalte dieser Vermittlung müssen parallel zur Aneignung der Produktionsmittel gesellschaftlich erarbeitet werden. In einer frühen Phase dient die individuell erfasst Arbeitszeit als Verteilungsschlüssel, in einer späteren wird sie obsolet (siehe MEW 23, 92 ff.). Das wäre die sozialistische Bewegung. Wenn das Bilderverbot bei Adorno auch ein Hinweis ist, sich die Mühe und Frustration zu ersparen, Planungsbüro zu spielen für eine nicht recht absehbare Situation, dann gilt dieser Hinweis noch deutlicher für die Gralshüter, die den Kommunismus gedanklich rein halten, auf dass keine leiblichen Menschen, auf einem irdischen Weg dorthin, mit schmutzigen Schuhen müde in seine Diele stolpern.

  1. Kneipengespräche sind nicht zitierbar und doch real. [zurück]
  2. Wie viele Unterschriften bekomme ich, wenn ich fordere, dass das Nettogewicht neuer privater PKW mit fünf Sitzen auf zwei Tonnen limitiert werden soll? [zurück]
  3. Ausgeliehen von Istari Lasterfahrer [zurück]
  4. Sie zitiert hier einen Gesprächspartner. [zurück]
  5. https://strassenauszucker.tk/2013/11/dokumentation-eine-literaturliste-zur-planwirtschaft/ [zurück]
  6. Beide Bücher sind auf dem Blog des großen Thiers besprochen: https://dasgrossethier.wordpress.com/2020/10/22/buchbesprechung-cottrell-und-cockhott/ [zurück]
  7. https://www.futurehistories.today/episoden-blog/s01/e31-daniel-e-saros-on-digital-socialism-and-the-abolition-of-capital-part-1/ [zurück]
  8. MEW 19:19, hier nach Ulrich Weiß: Marx’ Kritik am Gothaer Programm oder: Kein Weg aus dem Kapitalismus, Streifzüge 48/2010 [zurück]
  9. Mangels besserer Ideen schreibe ich von gemeinschaftlicher Organisation, Arbeit, Tätigkeit, sobald eine allgemeine Beteiligung gedacht, aber eine komplett gemeinsame Ausführung Unfug ist. Die Bezeichnung verweist also auf der große Fragezeichen der egalitären Interessenvermittlung und Entscheidungsfindung. [zurück]