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November

In diesem Monat habe ich zwei erfreuliche Neuigkeiten im Briefkasten vorgefunden: Zum einen kam mit einiger Verzögerung der Aschenbecher der Antilopengang samt CD an. Ein ganzes Album um den blauen Dunst. Das Meinen und das Bedürfnis, zu allem eine zusammengeschusterte, aus Halbwissen hervorquillende Meinung zu vertreten wird in Schade müde belächelt – etwas resignierter als noch in Kommentarfeld. Einiges kommt einem bekannt vor, aus müßigen Unterhaltungen auf schlechten Partys oder von Flugblätter des wirren Infotischs beim AStA.

Der theoretische Kommunismus funktioniert – ich schwör’s!
Zum Beispiel mit Robotern, die Arbeit erledigen und die Erziehung übernehmen und den Kindern Karl Marx predigen.

In So ungefähr wird in der Gesamtscheiße rumgestochert und die Pointe ist: siehe Dialektik der Aufklärung.

Die Freiheit, Ja zu sagen, zu einem Leben in der Steinzeit. Die Freiheit, alle Bücher nicht zu lesen und zu chillen. Die Freiheit, sich persönlich zu verblöden und den Willen darauf zu konzentrieren, ein Fäkaltheaterstück zu inszenieren.[…] Herzlich Willkommen im kulturellen Aschenbecher!

aschenbecher
Die zweite Neuigkeit in meinem Briefkasten war die neue Halbjahreszeitschrift des CaIra-Verlags.
Camus Ausführungen über Freiheit kommentiert Tjark Kunstreich in der aktuellen sans phrase:

Es ist diese Auffassung, die aus der Existenzphilosophie Existenzialismus werden lässt, einen Existenzialismus, der sowohl die Freiheit zum Massenmord als auch die zum Widerstand gegen ihn unterschiedslos bestehen lassen kann, weil der Mensch der Welt einziger Herr ist und damit auch sein eigener.

Kunstreich erklärt Michel Onfrays Feindschaft gegenüber der Psychoanalyse, sein Hass auf Freud und sein Zurechtstutzen Camus. Der Autor der „Anti-Freud“ wurde zwar schon mit Erscheinen des Buches an anderen Stellen gründlich kritisiert, Kunstreichs Beitrag nimmt Onfray jedoch ernster und beleuchtet die Facetten seines ideologischen Werkelns: „er verbindet recht und linke Ressentiments gegen die Psychoanalyse um einem Amalgam“

Einige Seiten weiter vorn findet sich eine kurze geschichtliche Zusammenfassung des Nahostkonflikts. Stephan Grigat trägt für die Kürze des Textes eine Vielzahl von Ereignissen und Daten zusammen, die vom Titel „20 Jahre Friedensprozess gegen Israel“ treffend umklammert sind.
Am Montag war Grigat zu Gast an der HU Berlin und sprach dort über Islamische Theokratie im 21. Jahrhundert. Wie auch in der sans phrase überlässt Grigat einer Fülle aus Fakten und Beispielen die Illustration – diesmal des iranischen Regimes. Einen besonderen Fokus legte er auf das Agieren Europas und Amerikas. So konfrontierte er schon zum Einstieg das Publikum mit der deutschen Asylregelung: Im Iran bleiben muss, wer nicht aus „aus der Masse der oppositionellen Iraner herausgetreten“ ist. Das Vorgehen des Regimes gegen alle Oppositionellen, die gerade greifbar sind, aber auch gegen Homosexuelle ist vermutlich hinreichend bekannt. Kein Grund für Asyl.
Grigat gibt einen Abriss über die Entstehung des schiitischen Gottesstaates, dessen ideologischer Grundlagen und der kategorischen Aggressionen gegenüber Israel, sowie der terroristischen Operiationen im Ausland (Mykonos, Buenos Aires).
Diese grundlegend anti-westliche, hochaggressive Bestreben verleiht auch der nuklearen Aufrüstung eine Sonderstellen: Während die Annahme, dass Israel Atomwaffen besitzt, im arabischen Raum verbreitet ist und kein Entsetzen auslöst, erregt das iranische Atomprogramm Sorge bei den Nachbarn. Für Israel ist bereits die Fertigstellung der Bombe eine große Gefahr, auch ohne deren Abschuss: Die nukleare Bedrohung könnte eine Massenflucht aus dem kleinen Staat bedeuten, die Israel ohne eine Rakete erledigt.

Von dieser gruseligen Bestandsaufnahme aus, ging Grigat über zum Verhalten Europas: Gentscher als deutscher Außenminister und sein österreichischer Kollege bereiten den Weg für Beziehungen zum Iranischen Regime, EU wächst zum wichtigsten Handelspartner und gemeinsam wird es ermöglicht, dass Homosexuelle an deutschen Kränen erhängt werden, während die Hisbollah in Deutschland spenden sammelt. Grigat präsentiert als Alternative die kanadische Iranpolitik: cut.
Weiter geht es mit der deutschen Linken, um das Ausmaß des Unheils hierzulande noch zuzuspitzen. Als besonderes Beispiel führt er Michael Lüders und sein schauderhaftes Buch an.
Von mir bisweilen nahezu unbeachtet waren die Beziehungen des Irans nach Südamerika: Chavez und Ahmadinejad kooperieren nach Möglichkeit, wo immer es geht, geeint im Hass auf Israel und die USA. Auf eine Frage hin deutete Grigat auf die ideologische Nähe der lateinamerikanischen Vorstellungen von Sozialismus und der anti-westlichen Fanatismus des Iran hin.
Im letzten Teil des Vortrags ernüchterte Grigat einige USA-hypenden Israelfreunde: er zeigte anhand von Beispielen, dass die USA eben kein unbedingter Beistand sind und auch schon mal erheblich zum Nachteil Israels verhalten. (1956 seien US-Interventionen zurückgehalten worden, um Israel zum Rückzug vom Sinai zu zwingen.) Ebenfalls den USA geschuldet war die Zulassung der Hamas zu den Wahlen der PA-Regierung und das verstärkte Bild vom erpressbaren Israel durch den Druck Obamas. Grigat schließt mit Herbert Marcuse: „Nur eine freue arabische Welt kann neben einem freien Israel friedlich existieren.“ Die Lösung des Nahostkonflikts liege somit in der Abschaffung des Antisemitismus.
In der anschließenden Diskussion ging Grigat tiefer auf den in Europa beliebten Kulturrelativismus ein: Der Rassismus- und Eurozentrismusvorwurf kommt oftmals unmittelbar neben der tatsächlich rassistischen Ansicht auf, jeder Araber habe sich in dortigen Zwängen zurechtzufinden, die man von hier aus nicht kritisieren dürfe. Desweiteres wurde nach dem Verhältnis von Rationalität und Fanatismus gefragt: Grigat skizzierte die durchaus ambivalente Haltung des Iran: auch wenn oberstes Ziel die Auslöschung Israels ist, so lässt man sich im Iran doch Zeit, um bedacht einen Weg zu finden.
Während Teile des Publikums das Vorgetragene routiniert abnickten, schien einzelnen doch noch ein gewisses Maß an Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. Vermutlich wird diese jedoch nicht lang anhalten, sondern verdrängt werden, oder schlimmer noch – in belangloses, folgenloses Geschwätz integriert.