Freitag, 21.02.2014
19 Uhr
Kirchliches Forschungsheim
Wilhelm-Weber-Straße 1a – 06886 Wittenberg
Hinweis: Die Veranstaltung wurde von der Evangelischen Akademie in das Kirchliche Forschungsheim verlegt.
Ankündigung einer Veranstaltung mit zwei Vorträgen zu Luthers Judenhass und dessen Bedeutung für den Protestantismus
Seit 2008 läuft im Vorfeld des 500. Jubiläums von Martin Luthers Thesenanschlag die sogenannte Lutherdekade. Innerhalb dieser zehn Jahre wird sein Wirken ausgiebig gewürdigt, gepriesen und verklärt. Die Präsenz des Reformators im Stadtbild der Lutherstadt Wittenberg wird weiter intensiviert. So wurde beispielsweise ein Luthergarten angelegt, dessen Zentrum Luthers Familienwappen bildet. Nicht nur dominiert er den öffentlichen Raum, auch als moralischer Mahner im Alltag wird Luther verwendet: Auf Containern klebt sein Konterfei über der Aufforderung, den Müll ordnungsgemäß zu entsorgen, um die Touristen nicht zu verschrecken.
Für die Wittenbergerinnen und Wittenberger ist Luther identitätsstiftend. Mit ihm identifizieren sie sich, wenn das ZDF unter dem Titel „Unsere Besten“ nach den wichtigsten Deutschen fragt und er auf Platz zwei landet. Luther ist nicht nur Gallionsfigur der evangelischen Kirche, sondern ist auch unabhängig von ihr zentraler Bezugspunkt der Stadt Wittenberg. Er ist der Beleg dafür, dass die Stadtgemeinschaft so irrelevant ja nicht sein könne.
Die Staatliche Geschäftsstelle „Luther 2017“ gestaltet den Hype aus. Die einhergehenden Veranstaltungen „wollen zeigen, dass die Lutherdekade – neben der Reflexion des Christseins – auch ein Grund zum Feiern ist.“ Da das Spektakel zu groß angelegt ist, um jeglichen Inhalt auszublenden, will man „Martin Luther, seinen Glauben und seine Ideen weiter erforschen“. [Zitate von http://www.luther2017.de/7427-die-lutherdekade-luther2017-500-jahre-reformation].
Auf ihrer Internetpräsenz finden sich, diesem Anspruch folgend, allerlei Informationen um und über Luther.
Wer nach Hintergrundinformationen zu Luthers Haltung gegenüber Juden sucht, gelangt zu einem Text, der im Folgenden zur Motivation einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema herangezogen wird.
[ http://www.luther2017.de/en/22477/jesus-christ-was-born-jew-%E2%80%93-martin-luther-and-jews – Die deutsche Fassung ist seit kurzem nicht mehr erreichbar.] Der pensionierte Pfarrer und Religionslehrer Hanns Leiner betätigt sich hier als Verteidiger des Reformators. Nach der üblichen Distanzierung vom Spätwerk wird zunächst der historische Kontext festgestellt:
„His anti-Jewish statements were connected to the general Christian anti-Judaism of the Middle Ages since the crusades. We find similar and even more extreme words uttered by his adversaries, for example Johannes Eck from Ingolstadt. Not even Erasmus of Rotterdam, a man who stands very much for religious tolerance, was free from this attitude. It also was not a specifically German thing. During the previous centuries, the countries of Western Europe had dispelled all Jews from their lands […].“
Hier stellt er zunächst klar, dass damals alle irgendwie mehr oder minder judenfeindlich waren. Dazu kommen dann noch Luthers schlechte persönliche Erfahrungen. Offensichtlich kann man dem Vorwurf des Antisemitismus nicht nur mit Beteuerung der persönlichen Freundschaft zu Juden begegnen, sondern auch mit persönlicher Feindschaft entschuldigen. Im Wissen dieser Faktoren kann der Autor dann doch Empathie aufbringen:
„If one also takes into consideration the difficult situation of the Protestant church in the 1540s, Luther’s age and his numerous health problems, as well as his end-time mood, one finds many reasons that will by no means justify his harsh tone, but nevertheless make it appear as more comprehensible.“
Ganz besonderen Wert legt Leiner darauf, dass Luther nie zum Mord an Juden aufrief. Außer halt in den Tischreden, wo es heißt:
„Ein anderer erzählte viel von den Gotteslästerungen der Juden und fragte, ob es einem Privatmann erlaubt sei, einem gotteslästernden Juden einen Faustschlag zu versetzen. Er ( nämlich Luther d. V.) antwortete: Ganz gewiss! Ich wollte einem solchen eine Maulschelle geben. Wenn ich könnte, würde ich ihn zu Boden werfen und in meinem Zorn mit dem Schwert durchbohren. Da es nämlich nach menschlichem und göttlichem Recht erlaubt sei, einen Straßenräuber zu töten, viel mehr einen Gotteslästerer.“
(Tischrede vom Frühjahr 1543. Nr. 5576. WA TR 5.257,11-31. zit. bei Bienert, Walther (1982). Martin Luther und die Juden. Frankfurt a. M.: Evangelisches Verlagswerk, S.172)
Bildquelle: Wikimedia
Alles in allem, findet Leiner, seien Luthers Äußerungen über die Juden scharf zu kritisieren. Aber auf der anderen Seite wusste Luther, anders als viele in unseren heutigen, relativistischen Zeiten, zumindest woran er glaubte und wofür es sich lohnte, zu kämpfen:
„For us today, who have been infected by the modern relativism of truth, Luther may even become a role model here. He knew what he believed and was ready to fight for it and to defend it against possible objections and disputes.“
Abgesehen von diesem außergewöhnlich kruden Abschluss, ist diese Darstellung exemplarisch für den derzeitigen Umgang mit Luther, der zur ausstrahlungskräftigen Ikone stilisiert wird, ohne dass eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet.
Um Einwände gegen den rein apologetischen Bezug auf Luther vorzubringen, lädt der Arbeitskreis Zweifel und Diskurs ein zu einem Abend über Luthers Judenhass und dessen Bedeutung für den Protestantismus. Zum Thema sprechen werden Andreas Pangritz (Universitätsprofessor für Systematische Theologie in Bonn) und Jörg Finkenberger (Jurist und Rechtshistoriker).
Zum Vortrag von Prof. Dr. Andreas Pangritz:
Léon Poliakov schreibt in seiner Geschichte des Antisemitismus über Martin Luther: „Im Antisemitismus … zog das religiöse Motiv, die Rechtfertigung durch den Glauben, eine Ablehnung der Werke nach sich, jener Werke, die unzweifelhaft jüdischer Prägung sind … Muß vielleicht ein wirklicher Christ, der seinen Gott in der Weise eines Martin Luther anbetet, nicht schließlich unvermeidlich die Juden aus ganzer Seele verabscheuen und sie mit allen Kräften bekämpfen?“
Sollte Poliakov recht haben, dann wäre an das Christentum zumindest in seiner lutherischen Variante die kritische Frage zu stellen, wie es sich zu Luthers Antisemitismus stellt. Luthers aggressiv judenfeindliche Spätschriften wie z.B. „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) sind berüchtigt; sie konnten von den Nationalsozialisten problemlos als Begründung für ihren „Erlösungsantisemitismus“ – Erlösung durch Vernichtung der Juden – in Anspruch genommen werden.
Dennoch hat sich lutherische Theologie im allgemeinen dagegen gewehrt, Luther als Antisemiten zu bezeichnen. Dabei wird großer Wert auf die Unterscheidung einer religiös begründeten Verachtung gegenüber den Juden, die man dann Antijudaismus nennt, von dem modernen, rassenbiologisch begründeten Antisemitismus gelegt. Auch wird betont, dass der jüngere Luther in seiner Schrift „Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) eine eher judenfreundliche Haltung gezeigt habe.
Der Vortrag wird anhand von Luthers sog. „Judenschriften“ erneut die Frage aufwerfen, wie Luthers Stellung gegenüber den Juden einzuschätzen ist: Wie ist die Judenfeindschaft bei Luther theologisch begründet? Kann und muss sein Judenhass als Antisemitismus bezeichnet werden?
Zum Vortrag von Jörg Finkenberger:
Luthers Judenhass ist an seinem Werk nicht eine Nebensache, sondern reicht in den Kern. Das wirft weitgehende Fragen auf. Wie kann eine Reformation des Christentums gedacht werden ohne Hass auf die Juden? Wie tief steckt der Judenhass im Christentum, und in den christlich geprägten Gesellschaften? Alle seitherige Geschichte hat wenig Anlass zur Hoffnung gegeben. – Die Wurzeln des Judenhasses im Christentum rühren an Grundsätzlichem. Christlicher Antijudaismus macht an der hartnäckigen Verweigerung der Juden fest, was allgemein der Fall ist: Die verheißene Erlösung ist nicht eingetreten. Die Verschiebungen, die die ausgebliebene Erlösung im Bau der christlichen Kirche erzwungen hat, treten in Widerspruch zu den inneren Inhalten des Glaubens. Die Reformation war angetreten, auf diesen Widerspruch zu reagieren. Das Misslingen der Reformation ging einher mit radikaler Eskalation des Judenhasses. Wie tief muss die Kritik der christlichen Religion ansetzen? – Zu allem Unglück scheinen die Kriterien der Religionskritik, die im Anschluss an die Aufklärung entwickelt worden sind, von derselben Schwäche befallen. Das Verhältnis der Junghegelianer zum Judentum erweist sich bei näherem Zusehen als das Selbe wie das des von ihnen kritisierten Christentums. Von wo aus kann der Ausweg gefunden werden? Wie können die Begriffe der Theologie in ein richtigeres Verhältnis zueinander gesetzt werden?
Die Veranstaltung findet am 21. Februar 2014 im Kirchlichen Forschungsheim, Wilhelm-Weber-Straße 1 in 06886 Wittenberg statt. Beginn des ersten Vortrags ist 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.